Statement zur Berichterstattung bei tagesschau.de

Berlin, 5. Oktober 2023. In einem aktuellen Bericht auf tagesschau.de werden verschiedene Vorwürfe gegen die Deutsche Adipositas-Gesellschaft und unseren Präsidenten Prof. Dr. Jens Aberle erhoben. Leider wurden in dem Artikel wesentliche Informationen weg gelassen oder verzerrt dargestellt.

1. Zu unserem Einsatz für eine verbesserte Versorgung von Menschen mit Adipositas

Der Bericht suggeriert, es sei es verwerflich, wenn sich die DAG und ihr Präsident für einen verbesserten Zugang zur medikamentösen Adipositastherapie einsetzen. Was im Beitrag keine Erwähnung findet: Selbst die Bundesregierung hat die Versorgungssituation für Menschen mit Adipositas deutlich kritisiert und in der vergangenen Legislaturperiode einen verbesserten Zugang zur Behandlung – inklusive medikamentöser Optionen – ausdrücklich eingefordert. Unser Einsatz spiegelt somit den Willen des Gesetzgebers. Dass die Redaktion diesen Umstand den Leser:innen verschweigt, spricht für eine verzerrte Darstellung zum Nachteil der DAG und unseres Präsidenten.

Ohnehin gehört es zu den Kernaufgaben einer wissenschaftlichen Fachgesellschaft, sich für einen verbesserten Zugang zu neuen und wissenschaftlich gut gesicherten Therapieangeboten zu engagieren. Bei Adipositas gilt das umso mehr: Anders als Menschen mit anderen chronischen Erkrankungen haben Betroffene von Adipositas derzeit kaum Ansprüche auf eine Krankenbehandlung. Es ist außerordentlich bedauerlich, dass diese grundlegende Problematik, mit der Betroffene von Adipositas tagtäglich zu kämpfen haben, in dem Artikel auf tagesschau.de nicht näher erläutert wird.

2. Zur Bewertung von Semaglutid als „Gamechanger

Der Beitrag suggeriert, es wäre eine Einzelmeinung unseres Präsidenten, dass es sich bei Semaglutid um einen Gamechanger bzw. einen Durchbruch in der medikamentösen Adipositastherapie handelt. Das ist nicht der Fall.

Semaglutid 2,4 mg ermöglicht den Betroffenen den Studiendaten zufolge bei relativ guter Verträglichkeit und in Kombination mit einer Lebensstilintervention eine Gewichtsreduktion von circa 15 bis 17 Prozent. Das sind Größenordnungen, die mit früheren Wirkstoffen nicht denkbar waren. Bei Menschen mit Adipositas und Herz-Kreislauf-Erkrankungen konnte in der SELECT-Studie zudem eine signifikante (20%) Verringerung kardiovaskulärer Ereignisse gezeigt werden – ein Novum für die Adipositasbehandlung.

Dass die modernen Wirkstoffe aus der Gruppe der Inkretin-Mimetika (u.a. Semaglutid, Tirzepatid, weitere in Entwicklung) einen Durchbruch in der Adipositasbehandlung darstellen, ist keine Einzelmeinung unserer Fachgesellschaft [1, 2, 3, 4, 5, 6].

3. Zu den Kosten der medikamentösen Adipositastherapie

Der Artikel auf tagesschau.de suggeriert, es drohe ein flächendeckender Zugang zur medikamentösen Adipositastherapie für alle Betroffenen mit Adipositas zu Lasten der Krankenkassen und in der Folge würde unser Solidarsystem komplett überfordert. Dabei stellt die Redaktion eine Rechnung auf, laut der es zu Behandlungskosten von mehr als 50 Milliarden Euro käme. Die dieser Rechnung zugrunde liegenden Hypothesen sind vollkommen unrealistisch, worauf wir die Redaktion auch hingewiesen haben. Es ist bedauerlich, dass sich die Redaktion dazu entschieden hat, das Schreckensszenario dennoch zu verbreiten.

Wenn der Gesetzgeber sich dazu entscheiden sollte, Paragraf 34 SGB V anzupassen, wäre es zunächst Aufgabe des Gemeinsamen Bundesausschusses, zu definieren, welchem Teil der Betroffenen unter welchen Voraussetzungen welche Wirkstoffe zu Lasten der Krankenkassen verordnet werden können. Aus fachlicher Sicht und mit Blick auf andere Gesundheitssysteme ist klar, dass kein breitflächiger Zugang für alle Betroffenen mit Adipositas zu erwarten ist. Realistischer scheint eine Eingrenzung auf jene Patient:innen, die am meisten von einer Arzneimitteltherapie profitieren würden. In Großbritannien beispielsweise können Menschen mit einem BMI > 35 kg/ m² und mindestens einer gewichtsassoziierten Begleiterkrankung, sofern sie in einer auf Adipositas spezialisierten Behandlungseinrichtung betreut werden, zu Lasten des National Health Service eine Adipositasbehandlung mit Semaglutid 2.4mg erhalten; zunächst begrenzt auf zwei Jahre. Das sind in Großbritannien aktuell etwa 50.000 Betroffene.

Das zeigt: Schon die erste Variable der Kalkulation, die Anzahl der Betroffenen, die zu Lasten der Krankenkassen versorgt werden könnten, ist unrealistisch gewählt. Das gilt auch die zweite Variable der Kalkulation, den Preis pro Jahr und Patient. Dazu muss man wissen: Der aktuelle Preis für Semaglutid 2.4mg zur Behandlung von Adipositas (etwa 320 Euro pro Monat) kann vom Hersteller festgelegt werden, da es sich derzeit um ein reines Selbstzahler-Präparat handelt. Im Falle einer Erstattung durch die Krankenkasse käme es zu einem sogenannten AMNOG-Verfahren, sodass der GKV-Spitzenverband und der pharmazeutische Unternehmer für das Arzneimittel den „Erstattungsbetrag“ verhandeln. Dass die Redaktion von tagesschau.de einfach den vom Hersteller festgelegten Selbstzahler-Preis für Semaglutid 2.4mg mit einem Erstattungsbetrag nach einem AMNOG-Verhandlungen gleichsetzt, ist schlicht unseriös.

Bei der Behandlung des Typ-2-Diabetes, wofür Semaglutid schon länger zugelassen ist, ist eine solche AMNOG-Verhandlung in der Dosierung 1.0mg erfolgt. Aktuell liegt dieser verhandelte Preis bei etwa 80-90 Euro pro Monat.

Fazit: Die Kalkulation, wonach mehr als 50 Milliarden Euro Kosten für die Solidarsysteme drohen, entbehrt jeder Grundlage.

4. Zu Zuwendungen durch Unternehmen an die DAG und ihren Präsidenten

Der Artikel auf tagesschau.de suggeriert, die DAG und unser Präsident hätten Zuwendungen durch Unternehmen bewusst verheimlicht und wären davon abhängig. Das ist nicht der Fall.

Spenden an die Deutsche Adipositas-Gesellschaft sind auf den Euro genau auf unserer Webseite und im Lobbyregister des Deutschen Bundestags dargestellt. Das gleiche gilt für Sponsorings unserer Kongresse, die hier (2022) bzw. hier (2023) eingesehen werden können. Spenden sind zweckungebunden und hiermit sind keine Gegenleistungen verknüpft. Stände oder Symposien auf dem Jahreskongress sind klar als gesponsert erkennbar. Die DAG hat viele Jahre auch ohne Spenden von Unternehmen existiert und ist nicht darauf angewiesen.

Auch unser Präsident Prof. Dr. Jens Aberle macht in wissenschaftlichen Studien, in Vorträgen, im Rahmen von Leitlinien, gegenüber verschiedenen Gremien des Gesundheitswesens uvm. entsprechend der gängigen Standards umfassende Angaben zu etwaigen Interessenskonflikten. Diese Informationen als „exklusive Recherche“ zu verkaufen, ist absurd. Dass eine wissenschaftliche Zusammenarbeit zwischen Herrn Prof. Aberle und Novo Nordisk besteht, ist beispielsweise durch eine einfache Google-Suche („Jens Aberle Novo Nordisk“ oder „Jens Aberle Interessenskonflikt“) öffentlich zugänglich.

Dass die Angaben für Prof. Jens Aberle bei einem Transkript zu einem Online-Pressegespräch des Science Media Centers gefehlt haben, war nicht beabsichtigt. Es gab zu dem Transkript kein Freigabe-Verfahren. Wir haben die fehlenden Angaben nach dem Hinweis umgehend ergänzen lassen, was die Leser:innen des Artikels auf tagesschau.de aber leider nicht erfahren.

Generell gilt: Die Funktionsträger der DAG (Präsident, Vorstand, Beirat) erhalten keine Entschädigung und kein Honorar für ihr Engagement, es handelt sich um ein Ehrenamt, sie haben keinen finanziellen Vorteil durch Zuwendungen an die DAG. Die DAG und deren Funktionsträger sind in Ihrer Meinungsäußerung und Berufsausübung unabhängig von Zuwendungen aus der Industrie.

Fazit: Leider zeugt der Artikel auf tagesschau.de nicht von einer fairen, sachlichen Auseinandersetzung mit dem Thema. Die verbreiteten Schreckensszenarien zur angeblich drohenden Belastung des Solidarsystems sind unrealistisch und unser Einsatz für einen Zugang zur Adipositasbehandlung wird durch das Weglassen entscheidender Informationen in ein schlechtes Licht gerückt. Wir hoffen, mit diesem Artikel zur Aufklärung beitragen zu können.

Fachorgan Adipositas

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